Was ist Biodanza? Und wie geht das mit Corona zusammen?
In letzter Zeit höre ich immer wieder Menschen (Leiter*innen, wie „erfahrene“ Biodanzatänzer*innen) sagen, dass man ja zu Corona-Zeiten kein Biodanza tanzen könne. Oder das, was jetzt möglich wäre, wäre ja kein Biodanza.
Ich wundere mich über diese Aussagen und will meine Meinung und meine Erfahrungen von einer wichtigen Forschungsreise auf Spiekeroog kundtun, d.h. vom Biodanza-Urlaub und der Einladung „Segel setzen! Vertrauen, Mut, Hoffnung, Träume …“
Schon immer wollte Biodanza Menschen dabei unterstützen, die eigenen Potenziale (z.B. Kraft und Mut, Verspieltheit, Leichtigkeit, Fähigkeit zur Entspannung, Mitgefühl u.v.m.) zu entwickeln. Ich bin immer wieder begeistert, wie viel ich selbst bei mir entwickeln durfte und noch weiterhin darf. Zusätzlich bin ich oft berührt und begeistert, wie sich diese Wirkung genauso bei Menschen in meinen Gruppen und Projekten entfaltet.
Jetzt frage ich mich: Entfaltet sich dieses Wunder nur, wenn wir uns umarmen und körperlich berühren (dürfen/können/wollen)? Oder andersherum gefragt, funktioniert Biodanza zu Corona Zeiten nicht? Oder ist das etwa gar kein Biodanza, wenn wir mit Abstandsgebot tanzen?
Wie gesagt, befinde ich mich gerade auf einer, im besten Sinne abenteuerlichen, Forschungsreise beim Biodanza-Urlaub auf Spiekeroog, um diesen Fragen nachzugehen. D.h. ich versuche, Antworten zu finden, nicht durchs Nachdenken und Fantasieren, sondern durch das reale Tun und Erleben. Die Teilnehmerinnen und ich machen Erfahrungen, die viel aussagekräftiger sind als Gedanken, als Fantasien oder - um es simpel auszudrücken – als Gehirnströme.
Ich will die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns nicht grundsätzlich schlecht reden. Wir Menschen haben in unserem Kopf ein fantastisches Instrument entwickelt, welches eine wahre Schatztruhe sein kann und in vielerlei Hinsicht zu einzigartigen Leistungen fähig ist. So können wir uns z.B. am Morgen vorstellen, wie eine Portion von unserem Lieblingseis schmeckt, welches wir uns heute Nachmittag gönnen wollen, und schon haben wir Speichelfluss. Eines der vielen Wunder, zu dem unser Gehirn in der Lage ist.
Die Fähigkeiten unseres Gehirns sind allerdings auch begrenzt und manchmal sogar trügerisch. Ein Beispiel: Stell dir vor, ich würde dich zu einer großen Portion Kaktus-Eis einladen. Wenn du dir in diesem Moment die Stacheln des Kaktus vorstellst, wirst du vielleicht Abscheu oder sogar Empörung spüren. Stellst du dir hingegen die süße, saftige Frucht des Feigenkaktus vor, liefe dir vielleicht das Wasser im Mund zusammen. Welcher Gedanke hat jetzt Recht? Beide – oder keiner, meine ich. Beide Gedanken sind möglich, vielleicht sogar noch viel mehr.
Und was hat das jetzt mit Biodanza und meiner Forschungsreise zu tun? Mehrere Menschen, die sich bereits vor Corona angemeldet hatten, stornierten ihren Biodanza-Urlaub. Sie meinten zu wissen, dass das ja wegen der Corona Auflagen kein Biodanza sein könne. Andere hingegen haben sich erst ganz spät angemeldet, weil sie Gutes erwarten trotz der Corona Auflagen.
Wer hat jetzt Recht? Keiner oder beide. Die Gedanken, mit denen wir in eine Situation oder Begegnung gehen, beeinflussen die reale Erfahrung kolossal. Die „Brille“ meiner eigenen vergangenen Erfahrungen, Glaubenssätze und Gedanken ist eine entscheidende Größe. Oder, wie ich gerne sage, die Engstelle sitzt oft im eigenen Kopf.
Auf meiner Forschungsreise auf Spiekeroog bin ich um Glück nicht alleine. Ich bin zwar der „Kapitän“ und öffne einen Erlebensraum. Was darin aber entsteht, welche Erfahrungen jede Teilnehmerin, die Gruppe als Ganzes und ich als Leiter darin machen, ist offen. Das entwickelt sich, hängt aber auch ab von den Weichenstellungen, die jede*r einzelne in jedem Moment vornimmt oder auch nicht vornimmt.
Jetzt aber mal konkret: Nach der Eröffnungsvivencia am Samstag war ich begeistert, wie alle anderen auch. Kontaktfrei tanzen heißt nicht, dass nicht trotzdem (vielleicht gerade deshalb?) tiefe Begegnungen und Berührungen der Seele möglich sind. Die zweite Vivencia gestern war auch super, fanden alle. In mir meldete sich aber danach eine Stimme, die - so sehe ich das heute (d.h. letzten Montag) mit etwas Abstand - genährt war von einer Angst. Meiner Angst, nicht weiter zu wissen; der Angst, nicht gut genug zu sein; der Angst, den Weg zu verlieren oder möglicherweise gar nicht zu kennen.
Meine Nacht war nicht schön. Der Morgen auch nicht. Ein Druck baute sich auf, musste ich doch um 11 Uhr den Raum aufschließen und wollte dies mit einer fertigen Vivencia im Gepäck tun.
Den Druck und auch andere Emotionen anzunehmen, die schlechte Nacht nicht noch zusätzlich durch düstere Gedanken zu einer Katastrophe werden zu lassen, war die erste Herausforderung! Frühmorgens Yoga am Strand, Schwimmen im Meer, ein gutes Frühstück, all das hat mir geholfen, mich zu erden. Letztlich gab es eine Punktlandung. Die Vivencia war pünktlich fertig und es gab in mir gute Gedanken dazu/zu mir. Das war meine eigene Vivencia vor der Vivencia.
Worum ging´s dann in der Vivencia? „Sich näherkommen“ – und zwar in der doppelten Bedeutung: Sich selbst und auch den anderen der Gruppe näherkommen. Biodanza zu Zeiten von Corona ist nicht grundsätzlich anders als vorher. Die Einladung und das Potenzial dieser Methode ist, sich selbst zu spüren mit allen Fasern unseres Seins. Sich selbst zu erfahren über 1. Bewegung, 2. zu Musik und 3. in der Gemeinschaft mit anderen. Immer schon war es die Herausforderung für jede*n Tänzer*in, wie auch Leiter*in zu spüren, wie sich jede Situation, jeder Moment anfühlt, und dann das zu tun (oder auch nicht zu tun), was dem jeweiligen Individuum gut tut. Wenn man mit jemand gemeinsam tanzt, das Eigene auszudrücken und das der Partner*in wahrzunehmen und zu achten. Daraus einen gemeinsamen Tanz zu entwickeln, das war immer schon die Aufgabe. Zu Corona ist das nicht anders.
Ein Beispiel: Im Anfangskreis hatte jede die Wahl, ob sie über ein schönes Tuch (in welchem Abstand auch immer) oder über die Hände in Kontakt gehen wollte. Die niedersächsische Corona Schutzverordnung lässt das Tanzen mit körperlichem Kontakt zu. Jede hätte sogar während des Kreistanzes die Kontaktart verändern können.
So war der Auftakt, und diese Wahlmöglichkeiten zogen sich durch viele Tänze des Morgens. Die Drehungen des irischen Tanzes z.B. mit Einhaken der Arme, durch Verbinden der Hände der beiden Tänzerinnen oder über ein Tuch, oder in Form des „Corona-Grußes“. Alles war möglich und wurde immer wieder neu entschieden von den beiden, die gerade miteinander tanzen wollten. Ca. 30 Mal mit einer Musik – eine Vielzahl an ganz unterschiedlichen Erfahrungen.
Vielleicht kann diese Musik unsere Erleichterung und Lebensfreude transportieren? Hör doch mal rein!
Du merkst schon, wie begeistert ich von unserer Forschungsreise bin. Alle, die heute mitgetanzt haben, waren geradezu beseelt, weil sie so wundervolle Erfahrungen gemacht haben. Sie waren auch deshalb so besonders, weil jede*r nach eigenem Gusto (innerhalb des behördlichen Rahmens, und der ist in Niedersachsen momentan ziemlich weit) über Nähe und Kontakt entscheiden konnte. Lies nach, was die TN geschrieben haben.
„Sich näherkommen“ – par excellence. Das ist wahres Biodanza! Ich liebe es, solche Veranstaltungen zu leiten. Das beseelt und beglückt auch mich.